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Posts tagged ‘Mobbing’

IShareGossip.com: Ein Gerüchte-Netzwerk lädt zum Schlagabtausch an deutschen Schulhöfen ein

September 15th, 2011

Astheimer

Das deutschsprachige Gerüchte-Forum IShareGossip sorgt für Aufregung  auf deutschen Schulhöfen. Die Betreiber der Internetseite rufen dazu auf, in ihrem Forum über Mitschüler zu lästern und Gerüchte zu verbreiten. Im Schutz der Anonymität nutzen immer mehr Jugendliche das unmoralische Angebot, um andere fertig zu machen.

IShareGossip geht im Herbst 2010 online. Der Start verläuft mühsam und das Projekt gewinnt nur wenig an Fahrt. In mehreren Foren und Newsgroups werben die Macher für ihre Community. Ein Preisausschreiben soll die Kommunikation dynamisieren und für mehr Besucher sorgen. Doch das Interesse der Netz-Gemeinde bleibt aus. Es herrscht Flaute im Läster-Kanal.

Ein Vierteljahr vergeht und im Januar 2011 verbreiten sich die ersten Gerüchte. Aufgeschreckt suche Jugendliche vieler deutscher Metropolen das Forum auf. Was sie umtreibt sind die Neuigkeiten, Gerüchte und Lästereien, die ihnen aus der Peer-Group entgegenschallen. Die Beiträge ihrer Altersgenossen sind Gift für den sozialen Zusammenhalt und die Psyche der Heranwachsenden. Im Schutz der Anonymität werden manche Altersgenossen zu verbalen Heckenschützen und nehmen ihre Mitschüler ins Visier. Intimitäten und Peinlichkeiten werden in die Öffentlichkeit gezerrt, Mitschüler beleidigt. Viele Beiträge zeugen von einer Eruption verbaler Gewalt, auf die mitlerweile Gewaltexzesse folgten (Spiegel Online, 22.03.2011). Norbert Rehner, Schulleiter der Frankfurter Wöhlerschule, schrieb dazu in einem Elternbrief die passenden Worte: „Einige der dort gebrauchten Formulierungen sind so, dass es sich verbietet, sie hier als Beispiele anzuführen.“

 

 

Fertig-machen mit System

Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Internetseite für „Klatsch und Tratsch“ (engl. „gossip“) kaum von dem bekannten Format anderer Diskussionsforen. Bild- und Textnachrichten lassen sich verfassen und anschliessend bewerten oder kommentieren. Die Ordnung ist einfach. Als Kategorien sind verschiedene Schulen in Deutschland vorgegeben, die wiederum nach Städten und Gemeinden sortiert sind – eine Einteilung, die sich am Online-Netzwerk SchülerVZ orientiert. Wer etwas über ein bestimmtes Gymnasium in Frankfurt oder in irgendeiner anderen Stadt äussern möchte, veröffentlicht seinen Beitrag in der entsprechenden Rubrik. Darüber hinaus gibt es noch andere Kategorien. Eine davon heisst etwa „Themen mit Niveau“. Sie wartet jedoch noch auf ihren ersten Beitrag.

„Unter Niveau“ sind hingegen die Beiträge die in den Schul-Rubriken gepostet werden, verbale Entgleisungen, welche die Betreiber zu verantworten haben. Als Architekten des Portals haben sie die Beiträge in eine bestimmte Richtung gelenkt. Wer sich die Seite aufmerksam durchliest, dem entgeht nicht jene Aufforderung an die User “Schreib hier deine Neuigkeiten, Gerüchte und Lästereien rein” – positioniert in der Titelzeile. Bisher ist kein derartiger Fall einer deutschsprachigen Online-Community bekannt, in dem die Seiten-Verantwortlichen offen ein Verhalten propagieren, dass entsprechend der Definition von Willard (2007) als Cyber-Mobbing zu bewerten ist.

Mit IShareGossip haben die Betreiber ein Forum geschaffen, dessen Sinn und Zweck es ist, über seine Nächsten aus der Schule, der Universität oder dem Arbeitsplatz zu lästern und zu spotten. Ein solches Verhalten ist – innerhalb des abgesteckten Rahmens dieser Seite – nicht nur erlaubt, sondern regelrecht erwünscht. Dass dadurch jedoch geltende soziale Normen und Anforderungen des Jugendmedienschutzes (Stichwort: „Cyber-Mobbing“) über Bord geworfen werden, dürfte selbst den Betreibern nicht entgangen sein. Diesen scheint jedoch jedes Mittel recht, um den Daten-Traffic auf der Seite zu befördern. In einer Ankündigung im Gully-Board – die mittlerweile entfernt wurde – haben sie verlauten lassen: „Alles in allem ist das Projekt [IShareGossip] ziemlich groß gedacht und kann sich in alle Richtungen entwickeln. Momentan ist es sehr offen gehalten und es wird so gut wie alles freigeschaltet, mit der Zeit muss natürlich auch auf Qualität geachtet werden und dann wird die Schraube enger gedreht.“

Durch IShareGossip erreicht Cyber-Mobbing eine neue Qualität, da es in einem anonymen Rahmen verläuft. Die Betreiber geben den Usern das Versprechen mit auf den Weg, die Gerüchte-Bühne von IShareGossip unerkannt betreten und verlassen zu können. Weder ein Nutzer-Profil muss angelegt werden, noch ist der eigene Name zu nennen. Selbst die Kennung des Computers („IP-Adresse“), die sonst typische Form der Identifizierung, wird nicht gespeichert. Seite aufrufen, beleidigen, verschwinden – einfacher könnte es nicht sein. Vergeben wird ein Freischein zum „Power-„ bzw. Speed-Lästern“, Entgleisungen sind im Code der Community programmiert. Trotz der zum Teil ätzenden Kritik der jugendlichen User wiederholen die Verantwortlichen ihr Anliegen, dass die Identität der „Flüsterer“ auf jeden Fall verborgen bleibe. Deren wahres Gesicht entziehe sich nicht nur Denjenigen, denen die Häme gilt, sondern auch dem Polizist, dem Lehrer/Direktor und dem Anwalt – werben die Portalbetreiber.

Doch was geschieht mit den Opfern? Während die Betreiber den Schutz der Täter propagieren, sorgen sie sich reichlich wenig um die Opfer. Nachrichten und Kommentare bleiben ohne Kontrolle und Überwachungen des Betreibers. Zwar existiert eine Melde-Funktion. Allerdings mussten viele Jugendliche die Erfahrung machen, dass trotz mehrfacher Beschwerde keine Reaktion stattfand. Viele haben nach einer Weile die Hoffnung aufgegeben, dass die Äusserungen über sie wieder verschwinden könnten. Die Jugendlichen befinden sich in der misslichen Lage, dass sie nicht nur beleidigt werden, sondern die Äusserungen noch nach Tagen weiterhin öffentlich im Netz nachzulesen sind. Aus diesem Grund verzichteten die ersten Medienberichte – etwa des hessischen Rundfunks – sogar auf eine Nennung des Foren-Namens. Die Betreiber wiederum reagierten in nahezu grotesker Weise auf die Sorgen der Mobbing-Opfer. Anstelle der versagten Hilfe, die im Übrigen zu den Pflichten jedes Foren-Betreibers zählt, lancierten die Verantwortlichen den zynischen (mittlerweile wieder entfernten) Rat an die Betroffenen, man solle sich mit seinem Problem ans ”Sorgentelefon” für Kinder und Jugendliche wenden – “Die Nummer gegen den Kummer”.

 

Serien-Stars als Vorbilder

Dem eigenen Selbstverständnis nach sehen die Betreiber ihr Portal als eine Alternative zu den bekannten Online-Netzwerken wie Facebook oder SchülerVZ. Deren Problem sei die hohe soziale Kontrolle – so die sinngemäße Erklärung der Betreiber des Gerüchte-Netzwerks – welche die User an einer “uneingeschränkte[n] Nutzung der Netzwerke” hindere. Mit dem Anspruch auf grösstmögliche Handlungs- und Meinungsfreiheit wird von IShareGossip die geltende Netiquette über Bord geworfen. Dass jedoch seit Jahren Profis für Online-Netzwerke daran arbeiten, eine sozial-adäquate Online-Umgebung zu schaffen, die auch ethischen Kriterien und dem Jugendmedienschutz gerecht wird, dafür scheinen die Betreiber blind zu sein. Wer sich in anderen Communitys und Netzwerken daneben benimmt, wird erst verwarnt und riskiert danach den Rauswurf.

Doch diese Realität von Online-Netzwerken und -Foren, die sich in den letzten Jahren geformt hat, ist den Machern des Gerüchte-Netzwerks fremd. Das Modell an dem sich IShareGossip bereits mit der Namensgebung orientiert, stammt hingegen aus der Welt der Fiktion. Vorbild ist die US-amerikanische Teenager-Serie „Gossip Girl”, in der die anonyme Hauptdarstellerin einen Klatsch-Blog über eine New-Yorker Elite-Schule betreibt. Die Wirklichkeit eines fiktiven Klatsch-Blogs hat jedoch kaum etwas gemeinsam mit der eines deutschen Schüler-Netzwerks.

 

Reaktionen

Einen klaren Kopf bewiesen hingegen viele Jugendliche, die sich immer wieder kritisch gegenüber den Beleidigungs-Praktiken anderer Teilnehmer äusserten und auch im Forum nach einer ordnenden Kraft gerufen haben. Mit ihnen teilen viele andere Jugendliche den Wunsch, die Behörden sollten dem Treiben auf IShareGossip ein Ende setzen und die Seite vom Netz nehmen. Entsprechend häufig klingelten daher auch die Telefone der lokalen Polizeidienststellen. Die Stadt Frankfurt am Main richtete sogar kurzfristig eine Sonderstelle ein, die sich seitdem ausschliesslich mit den Beschwerden der betroffenen Schüler und Eltern beschäftigt. Noch stehen die Chancen auf ein unmittelbares Ende des Forums schlecht, insofern IShareGossip von einem Provider in den USA betrieben wird. Polizei und Staatsanwaltschaft sind die Hände gebunden.

Derweil nehmen die Jugendlichen selbst die Möglichkeiten wahr, sich zur Wehr zu setzen – übernehmen etwa die Rolle eines Moderators oder Moderatorin und löschen diffamierende Kommentare. Sie setzen das um, was auch in den Elternbriefen vieler Schulen von den Schülern gefordert wird – Zivilcourage. Allerdings greifen die Portalbetreiber in diesen Prozess ein und stellen systematisch die von den Moderatoren gelöschten Kommetare wieder Online, was soziale Konflikte weiter eskalieren lässt. Andere Jugendliche wiederum setzen „Spams“ als Technik des Widerstands ein, füllen die Nachrichten- und Kommentarzeilen mit Lateinübersetzungen, Wikipedia-Artikeln, wodurch diffamierende Dialoge durchbrochen werden und das Forum kaum mehr nutzbar ist.

Sollten die Betreiber nicht auf beiden Augen blind sein, kann ihnen der massive Protest nicht entgehen. Erste Zeichen des Rückzugs lassen erahnen, dass auch er das Konzept seines Portals in Frage stellt. So wurden die Einträge, mit dem der Verantwortliche seit Herbst 2010 in verschiedenen Foren für IShareGossip geworben hat, mittlerweile gelöscht. Und schliesslich wirkt eine kleine, aber feine Änderung des Logos, als habe man sich bereits selbst die Lizenz entzogen. Zierte ursprünglich das Registered-Trademark-Symbol als Zeichen einer Markenregistrierung den Schriftzug des Forums, so wurde dieses nunmehr entfernt. Vielleicht endet damit auch der Glaube an die eigene Unverfrorenheit und es siegt die Einsicht, welchen Schaden der anonyme Läster-Kanal unter Jugendlichen angerichtet hat.